Lissie

Interview

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Seit ihrem Debütalbum "Catching a Tiger" ist viel passiert. Nach 12 Jahren im sonnigen Kalifornien, kaufte sie eine Farm und zog zurück nach Iowa um zu sich selbst und zu ihrer Musik zu finden.

Thematisch fokussiert sich “My Wild West” auf deine Entscheidung von Kalifornien in den Mittleren Westen zu ziehen - was hat dich zu diesem Umzug bewegt?

In meinen 20igern wollte ich nicht im Mittleren Westen leben, ich war verliebt in den kalifornischen Sonnenschein, die aufregenden Menschen und die Kultur. Als ich dann 30 wurde begann ich die Jahreszeiten zu vermissen oder den heftigen Regen und ich wollte ein Stück Land kaufen um näher bei meiner Familie zu sein. Es war Zeit nach Hause zu gehen.

Wie lange hast du in Kalifornien gelebt?

Zwölf Jahre, ich hätte mir nicht gedacht das ich jemals wieder weg gehe. Letztes Jahr sind ein paar bizarre Dinge passiert die mir gezeigt haben das ich mehr Kontrolle über mein Leben haben möchte. Ein Puzzleteil davon war es nach Iowa zu ziehen und ein Stück Land zu kaufen.

Du lebst jetzt auf einer Farm, stimmt das?

Ich lebe noch nicht wirklich da, aber ich habe schon dort gecampt. Mein Haus ist noch nicht fertiggestellt aber ich habe dort ca. vier Hektar, 2 davon sind landwirtschaftliche Fläche also habe ich sie an meine Nachbarn verpachtet und sie bauen dort in der Zwischenzeit Mais und Soja an. Aber im Frühling 2017 möchte ich dort nur wilde Blumen wachsen lassen damit sich die Erde erholen kann und aus dem Stall würde ich gerne in ein Aufnahmestudio machen. Also werde ich dort nicht vor Mai wohnen können,aber ich kann es kaum erwarten einzuziehen.

Wo hast du My Wild West geschrieben?

Hm, einige der Songs sind schon älter um ehrlich zu sein, aber sie haben irgendwie nicht auf meine anderen Alben gepasst. Aber Anfang 2015 habe ich den Song “Wild West” gschrieben und das hat das ganze Album ins Rollen gebracht. Es hat sich abgezeichnet das ich einen neuen Weg einschlagen muss und möchte. Mein Unterbewusstsein hat es mir irgendwie mitgeteilt während ich den Song geschrieben habe… Ich wollte meine Band in das Album einbauen, und ich wusste das ich wieder mit Phil Reynolds von Band of Horses arbeiten wollte. Ich habe “Wild West” mit Curt Schneider in Los Angeles geschrieben und dann bin ich nach Nashville gegangen um an weiteren Songs zu tüfteln. Martin Craft (Gründungsmitglied der australischen Band Sidewinder AdR) haben zusammen “Dont you give up on me” geschrieben.

Ich hatte also einige Songs zusammen die ich gut fand und als wir dann im Studio waren hat es sich angefühlt als “muss” ich ein Album daraus machen. Aber es hat sich nicht richtig angefühlt und ich beschloss kein Album zu machen und umzuziehen. Ich wollte die Freude an der Musik wiederfinden nachdem es etwas mühsam geworden war. Ich habe mich selbst auf die Abweisung und auf die Kritik anderer Menschen reduziert und deren Erwartungen - und das war nicht der Grund warum ich mich in erster Linie für die Musik entschieden habe. Ich habe mein Leben lang gesungen weil es mich glücklich macht und ich wollte dieses Gefühl zurück haben.


Wie kam es also letztendlich doch zu dem Album?

Ich hatte “Wild West” und “Daugters” und wollte sie fertigstellen weil ich gemeinsam mit meiner Band schon begonnen habe daran zu arbeiten. Also ging ich zurück nach Los Angeles zu Curt Schneider und sagte, dass ich die Songs gerne fertigstellen möchte aber ich habe nicht vor sie zu veröffentlichen oder zu promoten. Danach begann es mir endlich wieder Spaß zu machen weil ich mir selbst ständig sagte “Niemand wird diese Songs jemals hören”.

Ich habe all diese Geschichten erzählt die sehr persönlich waren. Das Album handelt im wesentlichen um meine letzten 12 Jahre - die Zeit der Erfahrungen und des Wachstums. Es hat sich angefühlt als würde ich ein Kapitel beenden und ein anderes öffnen - es war eine Art Katharsis wenn man so will. Diese neue Herangehensweise hat den Druck weggenommen. Wenn man sich selbst einen zu hohen Erwartungsdruck auferlegt kann man nie entspannt arbeiten.

Es muss sehr schwierig sein unter Druck kreativ zu sein!

Ja, das ist eine Sache an der ich gerade arbeite, auch bei Beziehungen und Freunden, ich versuche einfach alles zu genießen ohne mir den Kopf zu zerbrechen wo es hinführt. Das ist sehr schwer weil Menschen dazu tendieren alles kontrollieren zu wollen. Das Resultat ist weniger wichtig als der Weg dahin. Das Leben ist so kurz, und wenn man sich immer Sorgen machen was passiert vergisst man die eigentlichen Momenten zu genießen, die Momente die ständig rund um uns passieren.

Wie erging es dir bei früheren Alben - hast du dich immer auf das Resultat fokussiert?

Ja, weil es eine große Produktion war die so viele Menschen involvierte. Egal ob vom Label oder die Leute die im Radio oder Fernsehen gearbeitet haben oder mein Publizist. Du möchtest das die Mühe aller belohnt wird, aber die Interpretation anderer Menschen von Erfolg ist vielleicht nicht die selbe die ich habe. Viel Stress und Druck war in meinem Kopf. Ich bin einfach sehr hart mit mir selbst, und ich denke es ist ein Teil des Älterwerdens und die Dinge die man über sich selbst lernt

Je älter man wird umso weniger kümmert man sich um die Meinung anderer - das ist toll.

Absolut! Man hat so viele Dinge durch gemacht das man nicht mehr die Energie hat sich darüber gedanken zu machen.


Auch wenn “My Wild West” anfangs nicht als Album geplant war, gab es eine musikalische Richtlinie der man folgen wollte?

Ich wollte die Produktion nicht “überdenken”. Ich liebe schön polierte Songs, so wie “Trap Queen” genauso wie gute Pop-Musik. Aber ich hatte den Drang die Dinge etwas zu vereinfachen, einfach nur Gitarre und Gesang. “Hero” habe ich sehr schnell zu Papier gebracht, und als ich ihn Curt gezeigt habe hat er Session Musiker vorbei kommen lassen. Wir haben den Song live aufgenommen ohne viel nachzubearbeiten und ich spielte mit dem Gedanken ein extrem poppiges Album unter einem anderen Namen aufzunehmen, aber wenn es darum geht Dinge auszudrücken die ich im Moment fühle mach ich das lieber simpel ohne viele Layer.

Du hast erwähnt My Wild West wurde von Curt Schneider produziert. Warum wolltest du mit ihm arbeiten?

Alle Produzenten mit denen ich gearbeitet habe sind intelligente, kreative und großartige Menschen aber manchmal trifft man auf einen Produzenten bei dem man seine Kontrolle abgeben muss weil die wissen wie du es ins Radio schaffst. Aber dieses Mal wollte ich mit niemandem zusammenarbeiten der Kontrolle über meine Musik hat. Ich möchte damit keinen der Produzenten beleidigen mit denen ich gearbeitet habe! Jacquire [King] und Jacknife [Lee] sind absolute Spitze. Ich wollte einfach jemanden finden der mich ausprobieren lässt und bei mir bleibt wenn ich sage “diese Songs will ich machen, und ich habe diese und jene Vorstellung wie sie klingen sollen. Und es kann sein das die Songs kacke klingen aber bitte sei geduldig und hilf mir damit”. Es war mein eigenes Geld und diese Selbstständigkeit hat mir die Freiheit gegeben Dinge nach meinen Vorstellungen zu machen.

Kannst du mir etwas über die Hintergrundgeschichte zu deinem Song “Daughters” erzählen?

Klar! Ich habe diese großartige Dokumentation gesehen, “Pray The Devil Back To Hell” die von der liberianischen Friedensaktivistin Leymah Gbowee handelt. Es gab jahrelang diesen furchtbaren Krieg in Liberia, purer Horror und Gewalt. Diese Sozialarbeiter, Leymah und andere Frauen mit denen sie gearbeitet hat, haben sich für einen friedlichen Protestmarsch zusammen gefunden. Im Endeffekt sind 30,000 Frauen die Straße entlang marschiert und haben es dadurch geschafft den Präsidenten und die kriegerischen Anführer in einen Raum zu bringen um über die Konflikte zu sprechen. All diese Frauen haben sich an den Händen gehalten und haben das Haus umstellt, damit die Männer auch erst wirklich dann das Haus verlassen wenn die eine Lösung für die Probleme gefunden haben. Somit wurden sie die Unruhestifter los und der Präsident wurde durch eine Frau ersetzt - und damit kehrte Frieden ein. Nicht das Männer böse sind, Männer sind großartig und wir sind alle gleich, aber es war ein Beispiel wo Frauen aktiv eingegriffen haben und es dadurch zu Frieden kam. Das ist der Schlüssel meiner Meinung nach - Frieden durch Frieden. Syria zu bombardieren oder Drohnen zu senden wird uns keinen Frieden bringen. Frieden kann nicht nur Gewalt erzwungen werden. Dadurch wurde Daughters inspiriert weil ich der Meinung bin das Frauen eine große Rolle spielen werden wenn es um den Frieden in dieser Welt geht. So bald Mädchen auf dieser Welt ausgebildet werden und auch in der Nacht sicher sind und es nicht mehr ihre eigene Schuld ist wenn sie vergewaltigt werden.


Gab es noch andere Erfahrungen die deine Songs inspiriert haben?

Ich denke die meisten Songs sind sehr persönlich, in meinen alten Alben ging es oft um Jungs. Dieses Mal bin ich mehr daran interessiert herauszufinden ob diese Probleme mit Jungs vielleicht an mir liegen und ob es nicht vielleicht Dinge gibt die ich mit mir selbst regeln muss (lacht). Die Tatsache, dass ich realisiert habe welche Dinge mich in mir selbst zurückhalten haben vieles auf dem Album inspiriert. Zum Beispiel “Hollywood”, Hollywood ist dieser magischer Ort an dem alles möglich ist und ich hatte eine tolle Zeit dort aber mir war immer bewusst wie grausam dieser Ort sein kann - die westlichen Standards von Schönheit und jemanden einen Song vorzuspielen der dein Herz und deine Seele in sich trägt und dir jemand schlicht sagt: das ist Kacke. Man muss eine sehr dicke Haut haben. Ich habe Hollywood verlassen nachdem ich ein paar Erfolge in meiner Karriere verzeichnen konnte aber manche Leute denen ich begegnet bin wirkten unaufrichtig. Autentizität, Echtheit und Freundlichkeit sind sehr wichtig für mich. Diese Industrie ist schwierig für mich weil es Menschen gibt die nichts mit einem zu tun haben wollen, und dann sobald du auf der Bühne stehst und mit jemanden berühmten sprichst möchten sie mit dir befreundet sein. Es ist so offensichtlich das sie über soziale Kontakte aufsteigen wollen und es so etwas lässt mich das Vertrauen in die Menschheit verlieren. Aber heute verbringe ich einfach Zeit mit meiner Familie und Freunden wenn ich nicht toure.

Was hast du über dich selbst gelernt während der Arbeit an diesem Album?

Zum einen möchte ich der Kraft der Gedanken mehr Aufmerksamkeit schenken. So wie wir über und und über die Realität denken. Niemand hat Gewalt über mich, es gibt nichts was ich tun m u s s . Und wenn ich etwas mit Anspannung beginnen oder es sich anfühlt als hätte ich Probleme mit jemandem wird es sich in späterer Folge genauso entwickeln. Bei diesem Album habe ich jeden Tag so genommen wie er kam und stehts versucht positiv zu sein. Und es scheint als hätte es funktioniert weil dieses Album hat mir Spaß gemacht und war einfach zu machen.

Februar 2016